Das in diesem Buch veröffentlichte Unterrichtsmodell bezieht sich auf die von Goethe und Schiller um 1800 entwickelte Kunst- und Gesellschaftstheorie. Sie gilt dem - immer noch aktuellen - Problem, wie sich durch Kunst ein Abgleiten der bürgerlichen Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft in die Barbarei vermeiden lässt. Diese Theorie stellt Goethe im “Vorspiel auf dem Theater” dar, das seinem “Faust” vorangestellt ist. Dieser kleinen Szene sieht man zunächst nicht an, wie hochbedeutend und wie kunstvoll sie gestaltet ist. Sie bezieht sich auf Schillers ästhetische Schriften nicht weniger als auf Kants “Kritik der ästhetischen Urteilskraft”, dessen Geniebegriff sie erheblich erweitert. Zugleich nimmt diese poetische Theorie nach den Erfahrungen der Französischen Revolution Bezug auf Gesellschaftstheorien von Hobbes, Adam Smith, Rousseau, Kant und Fichte. Während Kant von der “Schönheit als Symbol der Sittlichkeit” spricht, fungiert sie bei Goethe und Schiller darüber hinaus als Korrektiv der Sittlichkeit, als Maßstab einer humanen Freiheit. Ich habe das Modell in “Einführungen in die Literaturwissenschaft” erprobt und in Abschlussklausuren gesehen, dass es ‘funktioniert’. Darafhin bot ich dieses - für die Oberstufe des Gymnasiums gedachte und im Lehrerbuch detailliert ausgearbeitete - Unterrichtsmodell mehreren Schulbuchverlagen an, die es zwar sehr lobten, aber es aufgrund ihrer Erfahrungen mit ähnlichen Publikationen nicht verlegten. Dem Argument, in der Schule sei für so etwas keine Zeit, halte ich entgegen, dass man bei einer einzigen, aber gründlichen Beschäftigung mit einem bedeutenden Kunstwerk mehr “fürs Leben” lernt als von mehreren, aber nur halbverstandenen Interpretationen. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass das - je nach den Gegebenheiten modifizierte - Modell in Leistungskursen oder im Projektunterricht Schülern und Schülerinnen einen Kunstbegriff vermittelt, der sich wesentlich von dem abhebt, was heute alles unter “Kunst” firmiert. Sie könnten erfahren, dass Kunst etwas mit ihnen selbst zu tun hat, und dass man sich nicht mit Kunst zu beschäftigen braucht, wenn man sich dadurch nicht verändert. Nachdem ich dieses Projekt zur Seite gelegt und fast vergessen hatte, sprach mich Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Kraft darauf an und riet mir zu einer Veröffentlichtung. Denn das Unterrichtsmodell zeige konkret, dass Literaturdidktik etwas mit der Interpretation von Literatur und nicht nur mit der Organisation eines unter literarischen Gesichtspunkten nicht weiter diskutierten Unterrichts zu tun habe. Das sei in ein einer Zeit, in der Literaturstudium und Literaturunterrricht mehr und mehr verflachten, von Bedeutung. Schon wenn das Modell in Fachseminaren der Lehrerausbildung diskutiert würde, hätte dies seine Veröffentlichung gerechtfertigt. Dieser Argumentation schloss ich mich an und hoffe, dass dieses Modell inzwischen wenigstens in der Bücherei vieler Fachseminare für das Fach Deutsch steht und von angehenden Deutschlehrern diskutiert oder - noch besser - erarbeitet wird. Das Inhaltsverzeichnis - der nun in einen Band zusammengefassten - Lehrer- und Textebücher soll einen Eindruck davon vermitteln, wie das Buch aufgebaut ist:
|