Web Design
                         Aktuelles
Biographie-Titel2
Biographie-Titel 1

Rainer G. Schumacher. Biographie des Künstlers. Münster: Lit 2012. 292  Seiten. EUR 19,90.
ISBN: 978-3-643-11631-4

Diese Biographie entstand aus intensiven Gesprächen und einem umfangreichen Briefwechsel mit Rainer G. Schumacher. Sie zeigt vor allem die künstlerische Entwicklung des – nach rund zwei Jahrzehnten in Jena – seit 1994 in Spanien lebenden Malers und Skulpteurs. Schumacher will seine Kunst nicht nur unter ästhetischen Aspekten, sondern zugleich in gesellschaftlichen Zusammenhängen verstanden wissen. In diesem Sinne werden zahlreiche Werke vorgestellt und interpretiert. 

2012 ist folgender Beitrag erschienen:
“Wir wollen stark Getränke schlürfen”. Zu Goethes Nahrungsmetaphorik. In: journal culinaire. Kultur und Wissenschaft des Essens. Nr. 15. 2012. S. 131-135.

Diese Ausführungen beziehen sich vor allem auf die Kommentarszenen “Vorspiel auf dem Theater” und “Hexenküche” in Goethes “Faust I”, wo Goethe besonders mit Hilfe der Nahrungsmetaphorik seine Kunst- und Gesellschaftstheorie zu verdeutlichen sucht.

Zu meinem 80. Geburtstag hat mir Rainer G. Schumacher die Ausstellung “In die Traum- und Zaubersphäre Sind wir, scheint es, eingegangen” gewidmet. Sie wurde in Böttchers “Kunst- und Heidegarten”, Lauheide 15, 48291 Telgte, im Mai 2014 gezeigt. Dazu hielt ich folgende Rede zur Einführung:

Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie zur Eröffnung dieser mir gewidmeten Ausstellung gekommen sind. Diese Widmung und Ihr Kommen betrachte ich als große Ehre!

Ich möchte Ihnen nun in engen Umrissen vortragen, um was es – nach meiner Interpretation – in der „Walpurgisnacht“ geht, so dass die ausgestellten Exponate für Sie nicht ganz beziehungslos sind.

Es versteht sich, dass in einer bedeutenden Dichtung alles bedeutend ist, das heißt: Was man sieht, ohne darüber nachzudenken, ist nicht das, um was es geht. In der Szene „Walpurgisnacht“ in Goethes „Faust“ ist dies aber noch gesteigert. Der Ort, wo die Szene spielt, wurde von Goethe genau lokalisiert: Es die „Gegend von Schierke und Elend“ im „Harzgebirg“. Mit der exakten Namensnennung zeigt Goethe, wie wichtig es ihm war, darauf hinzuweisen, dass das in seiner „Walpurgisnacht“ Dargestellte etwas mit der Wirklichkeit unserer Welt zu tun hat.

Ich setze hier voraus, dass Goethe im „Faust“ eine beängstigende Möglichkeit der modernen, bürgerlichen Welt gestaltet, die er als Befreiung vom alten Feudalsystem auf sich und vor allem auf die späteren Generationen zukommen sah. Diese ‚Faustische Welt‘, wie ich sie nenne, entsteht nicht durch teuflische Kräfte. Als Faust Mephisto fragt, wie dieser seine Wünsche erfüllen will, antwortet er lapidar: „Wir gehen eben fort.“, und benützt dafür die damals modernste Erfindung, einen Heißluftballon. Mephisto ist nicht der Böse, er macht nichts, was ihn Faust nicht geheißen hätte. Er ist für Goethe eine ideale Figur, um das, was noch nicht denkbar scheint, zu gestalten.

„Wir gehen eben fort“  - Der Fort-Gang, oder wie wir heute sagen, der Fort-Schritt ist es, mit dem die faustische Ideologie die Welt besser machen will, als Gott sie gemacht hat. Wir kennen diese Welt besser als Goethe sie sich ausdenken konnte. Heute bräuchte er keinen Mephistopheles, um sie darzustellen.

In die vordergründige Faust-Handlung hat Goethe drei Szenen eingefügt, die ich Kommentarszenen nenne: „Hexenküche“, „Wald und Höhle“ und eben die „Walpurgisnacht“.

Schon in „Wald und Höhle“, das heißt 15 Jahre vor der „Walpurgisnacht“, sagt Faust zum Erdgeist, „Du [...] zeigst mich dann mir selbst“, aber erst in der „Walpurgisnacht“ geschieht dies im Großen, und zwar als Traum. Der Traum des Träumers zeigt dem Träumer ihn selbst. Im Traum begegnet der Träumer seinem eigenen Wesen. Und wenn wir an die Stelle Fausts die faustische Ideologie, das faustische Bewusstsein setzen, so wird unseren Augen und unserem Denken dieses Bewusstsein zur Analyse vorgesetzt. Hier sieht man, dass Faust und Mephisto einem Bewusstsein entspringen, eine Einheit bilden, die nur aus praktischen, poetischen Gründen in zwei Personen aufgespalten ist. Was wir auf der Bühne vor uns haben, ist eine Vision der Faustischen Welt.

Ein wesentlicher Aspekt dieser Welt zeigt sich unmittelbar vor Fausts und Mephistos Eintritt in die „Traum- und Zaubersphäre“. Mephisto fordert ein Irrlicht auf, ihnen auf dem Weg zu leuchten. Auf diese Szene spielt die Titelskulptur der Ausstellung an.

Zum „Naturell“, wie es heißt, dieses Irrlichts gehört es, sich irrend hin und her zu bewegen. Sich irrend weiter zu bewegen ist bei Goethe oft ein positiv besetzter Begriff. Dagegen ist die stur auf ein Ziel hinstrebende geradlinige Bewegung, in der der Weg selbst keinen Wert hat und das Leben vor lauter Ziel versäumt wird, eine inhumane Bewegung. Zu diesem Irrlicht sagt Mephisto: „Geh er nur grad‘, in‘s Teufels Namen! Sonst blas ich Ihm sein Flackerleben aus.“ Damit ist das Thema der „Walpurgisnacht“ schon angeschlagen: In der faustischen Welt geht es darum, Natur und Menschen durch Bedrohung ihrer Existenz zu zwingen, sich der Fortschritts-, der Geschwindigkeitsideologie zu unterwerfen und in einer Leistungsgesellschaft zu funktionieren.

Das Idol dieser neuen, fortschrittlichen Welt ist nicht mehr das Gold, sondern die Glut, die in großem Maße Erze in Metalle und Wasser in Dampf verwandelt und dadurch das moderne Industriezeitalter ermöglicht. Oben auf dem höchsten Gipfel des Brocken erscheinen „Glut und Wirbelrauch“ sozusagen als Symbole der neuen Welt; und aus tiefen Schlünden steigt Dampf und leuchtet Glut. Schließlich glüht die ganze „Felsenwand“, und in das Licht dieser technisch verwertbaren Glut ist die ganze Szene getaucht. Wie sehr der technische Fortschritt das Leben eines jeden Menschen – ob nun im guten oder schlechten Sinne – beeinflusst, das wird auch sichtbar an manchen Skulpturen, die bis in die Köpfe hinein technisch strukturiert sind.

In der „Walpurgisnacht“ werden oft obszöne Sätze gesprochen oder entsprechende Andeutungen gemacht. Zum Beispiel dort, wo Faust und Mephisto die mehr traditionelle „Walpurgisnacht“ verlassen und einen neuen, von Goethe geschaffenen Walpurgisnachts-Raum betreten. Diese scheinbar „kleine Welt“ kündigt Mephisto mit folgenden Worten an:

     Da seh' ich junge Hexchen nackt und bloß,     
     Und alte, die sich klug verhüllen.

Diese Alten verhüllen sich klug, weil sie wissen, dass in der faustischen Welt nur Jugend und Leistungskraft zählen. Die Prostitution, die sich hier zeigt, verdeutlicht, dass in dieser Welt sich jede und jeder prostituiert. Denn alle müssen sich feilbieten und verkaufen, wenn sie nicht untergehen wollen. Die Menschen werden zur Ware, die als nutzlos auf die Seite gestellt werden, wenn sie für kein zielorientiertes Projekt mehr taugen, wenn sie nicht mehr leistungsfähig sind. Das sieht man an den vier „alten Herrn“, zu denen Mephisto sagt: „Ich lobt‘ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände, Von Saus umzirkt und Jugendbraus“. Jetzt, ausgestoßen am Rande, gibt es an ihnen nichts mehr zu loben. Tradition und Verdienste haben keinen Wert. Moralempfinden und Gerechtigkeitssinn sind veraltet.

Der Parvenu ist der Emporkömmling, der Aufsteiger, der Jugend und Leben dem Fortschritt unterwirft und schließlich als unbrauchbar – wie es die Skulptur zeigt – von seiner Höhe wieder herabfällt. Wie der Autor, der in der faustischen Welt zwar gebraucht wird, um im Gefühl und im Streben der Menschen die faustische Ideologie wach und begehrenswert zu halten. Aber nicht nur der angepasste Autor, sondern jeder Autor, der als freier Schriftsteller, oder wie Goethe sagt, „vogelfrei“ auf dem Markt existieren will, veraltet in der Fortschrittswelt.

  • Gleich nach den Alten erscheint die Trödelhexe, die den Blick auf das Unrecht, auf Morde und Verrat, lenken will, auf das, was in der faustischen Welt „zum tücht'gen Schaden Der Menschen und der Welt gereicht“. Aber sie wird von Mephisto abserviert mit den Sätzen:

    Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
    Getan geschehn! Geschehn getan!
    Verleg' Sie sich auf Neuigkeiten!
    Nur Neuigkeiten ziehn uns an.
  • Wir wissen heute, wo die Idee der faustischen Welt nicht nur wie zu Goethes Zeit eine Bedrohung darstellt, sondern in weiten Teilen Wirklichkeit geworden ist, warum nur Neuigkeiten anziehen und attraktiv sind. Kaum ist eine – scheinbar für jeden unverzichtbare – Neuigkeit auf dem Markt, schon ist sie wieder veraltet. Wäre sie dies nicht, bräche unser auf Wachstum gegründetes Wirtschaftssystem zusammen.

Aber es funktioniert nur deshalb, weil es der faustischen Ideologie auf vielfach verschlungene Weise gelingt, die Menschen so zu beeinflussen, dass sie diese faustische Welt lieben. Dafür muss ständig geworben werden. Deshalb sagt Mephisto zu Faust: „Ich bin der Werber, und du bist der Freier.“ Der Werber für Faust ist Mephisto schon in der Gretchenhandlung bei Frau Marthe, aber hier wird nun deutlich, in welchen gesellschaftlichen Zusammenhängen dies zu sehen ist. Die Verführung Margarethes durch Fausts Rhetorik, basiert vom ersten bis zum letzten Wort auf Lüge. Ihr wird die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs vorgegaugelt. Die „Traum- und Zaubersphäre“ ist in der Faustischen Welt allgegenwärtig.

Neben der Trödelhexe tritt Lilith auf, womit die in der Bibel nur ‚Weib‘ genannte und gleichwertig neben Adam geschaffene erste Frau gemeint ist. Solche Gegenmodelle werden auf die Seite gedrängt und abserviert und durch sich feilbietende, willige Frauen ersetzt, wie die Alte und die Schöne. Diese Schöne bringt Faust mit dem Adam des zweiten Schöpfungsberichts zusammen, wo Adams als zweite genannte Frau, Eva, die Männin, sich von der Schlange verführen ließ. Die Schöne verkörpert in diesem Traum das faustische Programm, wie Gott zu sein und ihn möglichst zu übertreffen. Deshalb will Faust nicht mehr aufhören, mit ihr zu tanzen. Bis ihr ein rotes Mäuschen aus dem Munde springt.

Dann erscheint die durch Ketten am Gehen behinderte, blasse Margarete. Da fühlt Faust, was er Margarete angetan hat. Seinem Reden und Überreden fallen vier Menschen zum Opfer. In ihr erkennt er die Inhumanität seines Systems. Diese Regung seines Gewissens lässt sich nicht so leicht wegwischen wie die Anschuldigungen der Trödelhexe. Aber dann gelingt es der für die Beseitigung von Skrupeln im faustischen Bewusstsein zuständigen Instanz, Faust wieder auf Linie zu bringen. 

Wo Faust zu ahnen scheint, dass in seiner Welt die Menschen enthauptet, entmenschlicht, verdinglicht werden, entschuldigt ihn Mephisto mit dem Satz: „Sie – nämlich Margarete – kann das Haupt auch unterm Arme tragen, Perseus hat‘s ihr abgeschlagen.“ Das heißt etwa: Nicht du bist verantwortlich für die Opfer in deiner Welt, sondern nur Teil eines übergeordneten Weltprinzips, für das schon Perseus und Medusa die Symbole sind. Denn Perseus vermag mit dem Haupt der Medusa jeden in Stein zu verwandeln, also zu verdinglichen, der sich ihm in den Weg stellt. Er verfügt über eine Tarnkappe und kann mit seinen Flügelschuhen fliegen, mit Perseus vor Augen sieht Faust, was ihm noch zu tun übrig bleibt und dass er sich nicht durch eine so altmodische  Regung wie ein schlechtes Gewissen davon abhalten lassen darf.   

Sie werden sich fragen, ob Goethe gegen Aufklärung, gegen die Befreiung des Menschen aus absolutistischer Willkürherrschaft, gegen Fortschritte in der Medizin und der Naturwissenschaft, mit einem Wort: ob er ein rückständiger Mensch war. Das war er nicht. Er ärgerte sich zum Beispiel darüber, dass er nicht als der Erfinder des Heißluftballons galt, weil er diese Idee schon längst im Kopf gehabt habe. Aber er wollte eine moderne, bürgerliche Gesellschaft, die menschlich ist, die human ist, in der der Mensch nicht nur Mittel, sondern zugleich Zweck ist, wo niemand sein Leben versäumen muss, wenn er existieren will. Und dabei setzte er seine Hoffnung auf die Kunst, an die er glaubte, sonst hätte er seine Werke nicht zu schreiben brauchen.

Durch den Umgang und die Beeinflussung durch echte, der sozialen Natur des Menschen entsprungene Kunst sollten im Menschen die humanen Kräfte angeregt und immer wieder gestärkt werden, die dem faustischen Ziel entgegenwirken, ohne Ehrfurcht vor Gottes Welt diese gewissenlos in eine neue, faustische Welt zu verwandeln, um dadurch zu sein wie Gott. Aber Faust kommt nirgendwo mit Kunst in Berührung. Für seine Welt wünscht er sich keine bedeutende, sondern nur – wie er sagt – eine „gefällige“, dilettantische Kunst, für die der von „Dilettanten“ gespielte „Walpurgisnachtstraum“ das Modell zu sein scheint.

Einer von denen, die unbeirrt an den ‚Auftrag‘ der Kunst glauben, die Menschen vor der Barbarei zu bewahren und die Zerstörung der Lebensbedingungen durch die Menschen zu verhindern, ist Rainer G. Schumacher.

Er ist in Berlin geboren, in der DDR aufgewachsen, studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden Wandmalerei und arbeitete als freier Künstler in Jena, wo ich ihn Anfang 1989 kennenlernte. Nach der Wende lernte er seine jetzige Frau Teresa-Marta Batalla kennen, eine spanische Keramikerin, und unter ihrem Einfluss und weil es seinen künstlerischen Interessen entgegenkam, fing er damals an, den Pinsel zur Seite zu legen und mit Ton zu arbeiten. Seit Mitte der 90-er Jahre leben sie in Spanien, und in dieser Zeit ist ein Riesenwerk entstanden. Dass dieses Werk kaum bekannt ist, hat wohl damit zu tun, dass Rainer G. Schumacher sich weigert, am modernen, man könnte auch sagen, am faustischen, marktorientierten Kunstbetrieb teilzunehmen. 

Er hat sich intensiv in mein Buch mit dem Titel „Faustische Welt“ vertieft, um die von Goethe gestaltete faustische Welt zu erfassen und sie künstlerisch zu gestalten und auf künstlerische Weise ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Schon vor neun Jahren hat er mir die Ausstellung „Kennst du den Faust“ gewidmet, und nun, ganz überraschend, zum meinem 80. Geburtstag, die Ausstellung zu den beiden Walpurgisnachtszenen.

Lieber Rainer, das rührt mich sehr und ich bin Dir sehr dankbar für dieses Geschenk. Und den Gästen dieser Ausstellungseröffnung danke ich, dass sie mir zugehört haben.

 

 

 

 

[Home] [Lebenslauf] [Publikationen] [Ausstellung I] [Austellung II] [Möbel] [Aktuelles]